«Noch nie so leer»: Zverevs Gefühl der Einsamkeit

Tennis Wimbledon 2025
© Kin Cheung/AP/dpa

Tennis

London (dpa) - Alexander Zverev stützte sein Gesicht in die linke Hand und sprach mit leiser, klarer Stimme. «I like Tennis» stand hinten auf seinem weißen T-Shirt im kinoartigen Medien-Theater von Wimbledon - doch seine Aussagen reichten weit über den Sport hinaus. In bemerkenswerter Deutlichkeit offenbarte der 28-Jährige nach dem Erstrunden-Aus mentale Probleme, ein Gefühl der Einsamkeit in seinem Leben sowie fehlende Motivation auf und neben dem Platz. Wie geht es mit der deutschen Nummer eins nun weiter?

Möglicherweise brauche er erstmals in seinem Leben eine Therapie. «Ich habe mich noch nie so leer gefühlt. Mir fehlt der Spaß an allem, was ich tue», sagte Zverev zwei Stunden nach seinem frühen Scheitern gegen den Franzosen Arthur Rinderknech über sein Seelenleben. «Etwas in mir muss sich ändern, etwas, das nicht notwendigerweise auf dem Tennisplatz liegt.»

Bruder Zverev: Hat sich nicht angedeutet

Auch seine engsten Vertrauten zeigten sich von den Aussagen des Weltranglistendritten überrascht. Zverevs knapp zehn Jahre älterer Bruder Mischa versuchte sich am späteren Abend als TV-Experte von Prime Video an einer Einordnung. «Da hat sich nichts Großartiges angedeutet, viele Sachen erfahre ich auch von euch», sagte der frühere Profi und ergänzte am Mittwoch: «Nach einer emotionalen Niederlage fühlst du Sachen, dann sagst du Sachen, und dann musst du halt gucken, wie fühlst du dich ein, zwei Tage später.»

Am Montag kommender Woche soll Zverev wieder ins Tennis-Training einsteigen, kündigte sein Bruder an. Zuvor stünden «ein paar Tage Pause, ein bisschen Golfspielen, ein bisschen ins Meer gehen» an.

In Wimbledon setzte Zverev auf sein gewohntes Umfeld, stand mit seinem Vater auf dem Trainingsplatz, Bruder Mischa wohnte mit ihm in einem gemeinsamen Haus. Freundin Sophia Thomalla fehlte im Gegensatz zum Vorbereitungsturnier im westfälischen Halle im Südwesten Londons, was angesichts des eigenen Lebens als TV-Moderatorin und Werbegesicht auch schon bei früheren Grand-Slam-Turnieren der Fall war.

Tochter als wichtigste Person im Leben

Bei den Turnieren in Deutschland wurde Zverev zuletzt zudem von seiner Tochter Mayla begleitet. Sie sei die Person, die ihn am glücklichsten mache im Leben, sagte er. «Aber sie ist vier. Normalerweise muss es andersrum sein, ich muss ihr Energie geben, ich muss sie glücklich machen und nicht andersrum. Das kann es nicht sein.»

Sie hätten sich bereits nach dem verlorenen Match unterhalten, berichtete Mischa Zverev am Dienstagabend. «Wir haben über verschiedene Sachen gesprochen, auch über positive, auch über das Match. Wir haben über Dinge gesprochen, die Spaß machen und die wir in den nächsten Wochen machen können. Aber das schien alles positiv zu sein.» Er nehme die Aussagen seines Bruders ernst, betonte er. «Ich versuche zuzuhören, und dann, wenn ich kann, zu helfen.»

Doch wieder ein externer Berater im Team Zverev?

In der Frage, wie diese Hilfe nun aussehen könne, zeigte sich Alexander Zverev zunächst ratlos. Beim Turnier im kanadischen Toronto Ende Juli hoffe er Antworten geben zu können, er werde nun «ein paar Wochen frei» haben. Aktuell steht der Olympiasieger allerdings auch noch auf der Meldeliste für das Sandplatzturnier im schweizerischen Gstaad, das direkt im Anschluss an Wimbledon Mitte Juli stattfindet.

Ebenso schloss Zverev nicht aus, doch wieder Einflüsse durch externe Berater im Familienunternehmen Zverev hinzuzuziehen. Diesen Rat von Legende Boris Becker hatte er zuletzt noch unwirsch zurückgewiesen, was für ein veritables Sommertheater im Tenniszirkus gesorgt hatte.

Er habe die mentalen Probleme seit den Australian Open, berichtete Zverev. Dort verpasste er durch die Final-Niederlage gegen den Italiener Jannik Sinner erneut seinen großen Traum vom ersten Grand-Slam-Triumph. Anschließend spielte der Hamburger rastlos Turnier um Turnier, um eine Chance auf das zweite Sehnsuchtsziel - die Spitze der Weltrangliste - zu haben. Doch diese vergebliche Jagd wurde durch frühe Niederlagen zu einer «emotionalen Achterbahnfahrt» (Mischa Zverev). Eine vierwöchige Turnierpause ist im eng getakteten Terminplan eines Tennisprofis nun eine absolute Ausnahme.

Petkovic: Hatte auch «Riesenkrise» mit 28

Zahlreiche Topstars wie Naomi Osaka sprachen bereits in der Vergangenheit offen über mentale Probleme bis hin zu Angstzuständen. Die frühere Profispielerin Andrea Petkovic kann sich dabei in die Situation von Zverev einfühlen, auch sie habe im Alter von 28 Jahren eine «Riesenkrise» gehabt. «Nach einer Niederlage kommen Sachen hoch, die du schön unter der Oberfläche halten kannst, wenn du gewinnst», sagte sie. «Das Tennisspielerdasein ist generell ein einsamer Sport. Du fühlst dich auf dem Tennisplatz alleine, du fühlst dich außerhalb alleine.»

Er habe viele Schwierigkeiten durchgemacht, sagte Zverev, mit den Medien und grundsätzlich im Leben. Seine Diabetes-Erkrankung hielt Zverev lang versteckt. Auf dem Höhepunkt seines Könnens stoppte ihn eine schwere Knöchelverletzung bei den French Open 2022. Zwei Jahre später in Paris lief parallel ein Prozess um den Vorwurf der Körperverletzung, der gegen eine Geldauflage von 200.000 Euro ohne Verurteilung eingestellt wurde. Zverev gilt weiter als unschuldig. Die Debatte, ob es nicht doch zu einem deutschen Tennis-Traumgespann mit Becker als Trainer komme, begleitet ihn stetig.

Nun steht der Olympiasieger von 2021 an einem entscheidenden Punkt seiner Karriere und seines Lebens. «Ich muss mich wieder selber ein bisschen finden und verstehen, welche Menschen mir Freude bringen, was mir Spaß macht, was mich motiviert», sagte er. «Das ist für mich die Nummer-eins-Aufgabe mit 28.»

© dpa-infocom, dpa:250702-930-745165/3
Tennis: ATP-Tour - Stuttgart
Mischa Zverev sitzt häufig bei Matches seines Bruders auf der Tribüne in der Box.© Marijan Murat/dpa
Mischa Zverev sitzt häufig bei Matches seines Bruders auf der Tribüne in der Box.
© Marijan Murat/dpa
Tennis Wimbledon 2025
Ratlos auf dem Platz.© Kin Cheung/AP/dpa
Ratlos auf dem Platz.
© Kin Cheung/AP/dpa

Weitere Meldungen

skyline