Fluchtaufruf in Gaza – Neuer Hilfsmechanismus soll anlaufen
Veröffentlicht: Montag, 26.05.2025 16:52

Nahost
Jerusalem (dpa) - Im Gazastreifen soll laut einer zuständigen Stiftung sowie israelischen Medien die Verteilung von Hilfsgütern mit einem neuen Mechanismus beginnen. Aus dem Küstengebiet wurden zugleich wieder viele Tote gemeldet. Die israelische Armee rief unterdessen die Bewohner der meisten Orte im südlichen Gazastreifens dazu auf, diese zu verlassen.
Laut der neu gegründeten Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) sollen im Laufe des Tages «direkte» Hilfslieferungen anlaufen. Der israelische Sender Kan berichtete unter Berufung auf israelische Beamte, die erste Verteilungsstelle der GHF werde im Laufe des Tages im Gazastreifen eröffnet. Weitere drei Zentren sollen dem Bericht zufolge nach und nach den Betrieb aufnehmen. Von diesen Verteilungsstellen aus sollen Lebensmittelpakete an die Bevölkerung ausgegeben werden. Zudem sei der Bau weiterer Zentren geplant.
Bis Ende der Woche sollen auf diese Weise mehr als eine Million Palästinenser mit der neu organisierten Verteilung von Hilfsgütern versorgt werden, teilte die GHF mit. In dem Gebiet leben rund 2,2 Millionen Menschen.
Chef der Stiftung kündigt Rücktritt an
Mit dem neuen Mechanismus zur Verteilung der Hilfsgüter will Israel eigenen Angaben nach verhindern, dass die Hamas von den Lieferungen profitiert. Die UN sehen den neuen Mechanismus kritisch, unter anderem, weil Zivilisten auf dem Weg zu Verteilungszentren ins Kreuzfeuer geraten könnten und der Weg dorthin für Alte und Kranke eine unüberwindbare Hürde darstellen könnte.
Auch der bisherige Chef der zuständigen Stiftung hat Zweifel an dem Konzept – und kündigte seinen Rücktritt an. Jake Woods hält es Berichten zufolge nicht für möglich, den unter seiner Führung entwickelten Plan umzusetzen und gleichzeitig «die humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit» zu wahren.
Armee warnt erneut vor «beispiellosen Angriff» im Süden Gazas
Laut einer vom Militär veröffentlichten Karte umfasst der Fluchtaufruf die Großstädte Chan Junis, Rafah und alle weiteren Orte im Süden des Gazastreifens bis auf Al-Mawasi. Dorthin sollen sich die Menschen laut Armee nun begeben. Al-Mawasi im Südwesten des umkämpften Gebiets wurde während des Gaza-Kriegs von Israel als humanitäre Zone ausgewiesen.
Israels Armee werde in der betroffenen Gegend einen «beispiellosen Angriff» beginnen, um gegen Terrororganisationen vorzugehen, hieß es in einem in arabischer Sprache veröffentlichten Aufruf weiter. Terrororganisationen feuerten von dort aus weiterhin Raketen Richtung Israel. Das israelische Militär hatte am Morgen Beschuss aus dem Süden des Palästinensergebiets gemeldet.
Die Armee hatte kürzlich bereits Menschen in Rafah und Chan Junis aufgefordert, die Städte zu verlassen. Aus Chan Junis, der zweitgrößten Stadt im Gazastreifen, wurden zuletzt dennoch sehr viele Tote gemeldet. Die Fluchtaufforderung gilt laut Armee aber nicht für die Nasser-Klinik und das Al-Amal-Krankenhaus in Chan Junis.
Festnahmen bei umstrittenem Flaggenmarsch in Jerusalem
In Jerusalem wurden derweil Tausende nationalistische Israelis zu einem umstrittenen Flaggenmarsch erwartet. Dieser findet jährlich am Jerusalem-Tag statt und erinnert an die Eroberung Ost-Jerusalems im Sechstagekrieg 1967. Israels Polizei teilte mit, sie sei in mehreren Einzelfällen in der Altstadt eingeschritten, um Gewalt, Zusammenstöße und Provokationen zu verhindern. Einsatzkräfte hätten dabei auch mehrere Menschen festgenommen.
Einige israelische Teilnehmer des umstrittenen Marschs drangen nach Angaben des Jerusalemer Gouvernements der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in das Gelände des Hauptquartiers des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA in Ost-Jerusalem. Sie hätten dabei auch zur Besetzung des Geländes aufgerufen.
Die Mitarbeiter der UN-Organisation wurden bereits Ende Januar von israelischen Behörden angewiesen, das Gebäude zu verlassen. Israel wirft dem Hilfswerk vor, dass einige der Mitarbeiter an Terroraktivitäten der Hamas beteiligt gewesen seien. Das israelische Parlament hatte in der Folge per Gesetz ein Arbeitsverbot für UNRWA auf israelischem Staatsgebiet verhängt und israelischen Beamten verboten, mit der Organisation zu kooperieren.
Die linksliberale Zeitung «Haaretz» berichtete, rechtsextreme Teilnehmer des Flaggenmarschs, darunter vor allem Jugendliche, hätten unter anderem «Tod den Arabern» gerufen. Augenzeugen berichteten zudem von Übergriffen auf Menschen und Geschäfte vor Ort. Der Marsch verläuft auch durch muslimische Viertel, was Palästinenser als extreme Provokation sehen. Sie fordern den arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als künftige Hauptstadt eines eigenen Staates.
Wieder Angriffe im Gazastreifen
Laut dem von der Hamas kontrollierten Zivilschutz kamen seit der Nacht mindestens 60 Palästinenser bei Angriffen Israels ums Leben. Israels Luftwaffe griff eigenen Angaben zufolge in der Nacht eine Kommandozentrale der Hamas in einem ehemaligen Schulgebäude in der Stadt Gaza an. Palästinensischen Angaben zufolge kamen mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter auch Minderjährige.
Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete, in dem Gebäude seien Vertriebene untergebracht gewesen. Der Angriff habe massive Brände ausgelöst, Zelte auf dem Gelände hätten Feuer gefangen. Viele Menschen erlitten laut Wafa schwere Verbrennungen. Die Angaben beider Seiten ließen sich unabhängig zunächst nicht überprüfen.
Der Angriff habe Terroristen der Hamas und des Islamischen Dschihad gegolten, die dort Anschläge auch auf israelische Zivilisten geplant hätten, teilte die israelische Armee weiter mit. Das Militär habe zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr für Zivilisten zu mindern.
