Massaker im Arnsberger Wald aufgearbeitet
Veröffentlicht: Dienstag, 06.05.2025 00:00
80 Jahre nach Gräueltaten im Arnsberger Wald bei Warstein erscheint eine Aufarbeitung

80 Jahre nach den grausamen Taten von SS- und Wehrmachtssoldaten im Arnsberger Wald sind jetzt die Forschungsergebnisse zu dem Massaker im Jahr 1945 erschienen. Zwischen dem 21. und 23. März 1945, ermordeten Angehörige der "Division zur Vergeltung", die aus SS- und Wehrmachtsoldaten bestand, im Arnsberger Wald bei Warstein, Suttrop (Kreis Soest) und Eversberg (Hochsauerland-kreis) insgesamt 208 osteuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - Erwachsene, Jugendliche, Kinder und einen Säugling. Dieses Massaker gehört zu den schwerwiegendsten Kriegsendphaseverbrechen im damaligen Deutschen Reich, so der Landschaftsverband Westfalen Lippe. Seit gestern liegt die wissenschaftliche Aufarbeitung durch den LWL-Historiker Dr. Marcus Weidner vor.
Gesellschaftliche Verantwortung
"Der LWL nimmt mit seinen Forschungen eine gesellschaftliche Verantwortung an", so der Direktor des LWL, Dr. Georg Lunemann bei der Vorstellung der Publikation. "Wir erleben seit einigen Jahren die Verharmlosung der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur. Gerade aber die Mordaktionen sind beispielhaft für einen schmerzlichen Teil unserer Geschichte, dem wir uns stellen müssen - mit Blick auf das Kriegsende am 8. Mai vor 80 Jahren, aber auch mit Blick auf Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit heute."
Jahrelange Forschungen
Mehrere Jahre erforschte Weidner die Tat, ihre Hintergründe und Folgen in Gesprächen, Archiv- und Datenbankrecherchen im In- und Ausland. Der vorliegende Band der "Forschungen zur Regionalgeschichte" fügt nun erstmals Ergebnisse aus umfangreichen Recherchen in Archiven im In- und Ausland und Interviews mit den Ergebnissen der archäologischen Forschung und der Schicksalklärung einzelner Opfer zusammen. Von der lokalen über die regionale auf die ideologische und strukturelle Ebene rekonstruiert der Forscher die Ereignisse und ordnet sie in den historischen Kontext ein, heißt es.
Der Historiker und Archäologe Weidner konnte neben Zeitzeuginnen, Zeitzeugen und Archiven auch auf die Unterstützung der LWL-Archäologie zurückgreifen. Mehrere Grabungen von 2018 bis 2021 an den Tat- und Verscharrungsorten ergaben Informationen über die konkreten Abläufe.
Umgang mit der Erinnerung
Nicht nur die Taten an sich, sondern auch der Umgang mit der Erinnerung daran warf nach Einschätzung von Weidner Fragen auf, die der Erforschung bedurften. So konnten die archäologischen Recherchen belegen, dass der Warsteiner Obelisk 1964 unter dem Vorwand vergraben wurde, man müsse darunter nach Gräbern suchen. Tatsächlich hatte man ihn bereits zuvor beschädigt: Das Wort "Mord" war aus der Inschrift herausgemeißelt worden. Auch ein 1960 an der Stelle errichtetes christliches Kreuz wurde entfernt, als die Toten 1964 nach Meschede umgebettet wurden. Weidner: "Nichts sollte im Wald mehr an das Verbrechen von 1945 erinnern."
Weidner untersuchte auch die rechtliche Ahndung und die Geschichte des Gedenkens vor Ort und setzte dies ins Verhältnis zur bundesdeutschen Geschichte der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Zwar hatten tausende Menschen von der Tat erfahren. Unter anderem führten die Alliierten die Bevölkerung 1945 zwangsweise an den Leichen vorbei und ein Gerichtsprozess in den 1950er Jahren erregte bundesweit Aufsehen.
Dennoch entwickelte sich vor Ort nach Einschätzung von Weidner kein kollektives Gedenken. Die Bevölkerung blieb den Taten gegenüber distanziert. Weidner beschreibt hier eine "Schluss-strich-Mentalität". Der Prozess endete mit Strafen, die schon damals als skandalös niedrig empfunden wurden. Die Verantwortung des damaligen Warsteiner Bürgermeisters wurde nun durch den Historiker untersucht, ebenso wie die einzelner Täter und ihre Handlungsoptionen, Täterstrukturen und der historische Zusammenhang.
Den Umgang mit dem Verbrechen setzt Weidner in den Kontext des bundesdeutschen Gedenkens. "Erinnern und Gedenken wurden in unterschiedlicher Intensität und zeitlicher Abfolge betrieben", schreibt Weidner im letzten Buchkapitel "'Nicht unsere Toten?'". An die osteuropäischen Mordopfer unter den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wurde vor Ort erst in den 1980er Jahren erinnert.
Das nun erschienene, knapp 1.000 Seiten starke Buch gibt zukünftigem Erinnern und Gedenken eine historische Basis, heißt es. Angehörige der Ermordeten erhielten nach rund 80 Jahren durch die Forschung Gewissheit über deren Schicksal. "73 Namen kennen wir mittlerweile", sagt Weidner.
"Die Region als Tatort zeigt sich an diesem Beispiel in besonders eindrücklicher Weise", so Prof. Dr. Malte Thießen, Leiter des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte. "Marcus Weidner konnte zeigen, wie bis auf einzelne Individuen, Mandatsträger und kleinste kommunale Strukturen das nationalsozialistische Morden gestützt und praktiziert wurde - und wie sich das bis heute auf das Wissen über uns und unsere Geschichte, letztlich Identität, auswirkt."
Auch das Ausmaß der Skrupellosigkeit werde durch die historischen Forschungen verdeutlicht: "Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Erwachsene wie Kinder, wurden wahllos getötet, um bestimmte Zahlen oder Quoten zu erreichen. Auf Seiten der Täter kann man eine Art Lernkurve des Mordens beobachten. Die Taten waren monströs, aber geplant und im rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus begründet. Außerhalb von Gefängnissen, Konzentrationslagern und Todesmärschen sind diese wahllosen Morde das schlimmste bekannte Kriegsendphaseverbrechen an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern", sagt Weidner.