Das Brücken-Desaster - Eine Chronik zur Rahmede-Talbrücke

Wie die gesperrte Rahmede-Talbrücke für Ministerpräsident Wüst zur Gefahr wird

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Seit über einem Jahr die Rahmede-Talbrücke auf der A45 nun gesperrt. Sie ist so kaputt, dass sie nicht mehr repariert werden kann, sondern abgerissen und neu gebaut werden muss. In der betroffenen Region rund um Lüdenscheid, im Märkischen Kreis, herrscht seitdem ein Chaos: Zehntausende Autos und LKW müssen umgeleitet werden. Handwerker, mobile Pflegedienste, Pendler - einfach alle müssen einen kilometerlangen Umweg fahren. Wäre dieses Chaos zu verhindern gewesen?

Die Sperrung der Rahmede-Talbrücke bringt NRW-Ministerpräsident immer mehr in Erklärungsnot. Immerhin war er vier Jahre lang Verkehrsminister im Land. Dabei ist die Sperrung nur eine von vielen Stationen auf dem Weg zur Katastrophe. Eine Chronologie. 

2010: Ingenieure der zuständigen Behörde “strassen.nrw” stellen fest: Die Rahmede-Talbrücke schwächelt, ist aber stabil. Es wird eine Verkehrs-Entlastung angeordnet. Fortan herrschen ein generelles Überholverbot für LKW über 7,5 Tonnen sowie ein Verbot für genehmigungspflichtigen Schwerverkehr ab 60 Tonnen.

2011: Experten von "strassen.nrw" kommen zu dem Schluss: Nicht nur die Rahmede-Talbrücke, sondern alle 38 Brücken über die die Sauerlandlinie A45 zwischen Dortmund und der Grenze zu Hessen führt, sind durch die gestiegene Zahl von Autos und LKW in Mitleidenschaft gezogen. Es wird beschlossen, dass alle diese Brücken in den kommenden Jahrzehnten erneuert werden müssen. 

Die Rahmede-Talbrücke wird von Ingenieuren untersucht. Ihre Standfestigkeit wird mit der Note "3" bewertet.

2012: Der Bund stimmt einer Sanierung der Rahmede-Talbrücke zu. Es werden 18 Millionen Euro dafür veranschlagt.

2014: Bund, Land und der Landesbetrieb strassen.nrw entscheiden sich um: Die Rahmede-Talbrücke soll nun doch nicht repariert werden. Kosten und Aufwand werden als zu hoch eingeschätzt. Deshalb wird beschlossen: Die Brücke muss neu gebaut werden - für veranschlagte 43 Millionen Euro. Zu diesem Zeitpunkt geht man von einem Baubeginn im Jahr 2018 aus. Bis dahin soll die Brücke weiter durch ein Tempolimit entlastet werden: Für Autos gilt 80 - für LKW 60 km/h. Erneut wird die Brücke von Experten vor Ort in Augenschein genommen. Erneut erhält sie die Note "3".

2017: Hendrik Wüst von der CDU wird NRW-Verkehrsminister. Er übernimmt das Amt von Mike Groschek von der SPD. Auch in 2017 untersuchen Experten die Brücke. Die Standhaftigkeit wird erneut mit "3" bewertet. 

2020: Der Ersatzneubau der Rahmede-Talbrücke hat immer noch nicht begonnen: Entgegen der bisherigen Annahme, Planungen und Genehmigungen könnten beschleunigt werden, braucht es für den Neubau nun doch ein komplettes Planfeststellungsverfahren. Das heißt vor allem, dass es Anhörungsverfahren für Anwohner geben muss. Mit einem Baubeginn kann deshalb erst nach 2026 gerechnet werden.

2021: Nach Anwendung eines neuen Laser-Verfahren ist klar: Die Brücke ist maroder, als bisherige Untersuchungen vermuten ließen. Sie wird komplett gesperrt. Zehntausende Autos und LKW müssen fortan über das Umland umgeleitet werden.

2023: Hendrik Wüst gerät unter Druck: Reporter des Onlineportals t-online finden heraus, dass eMails rund um die Verschiebung des Neubaus der Brücke - sowohl in der Staatskanzlei als auch im Verkehrsministerium - verschwunden sind. Das Ministerium hatte vorher mitgeteilt, dass es keine Unterlagen dazu mehr gäbe. Die Opposition hat den Verdacht einer gezielten politischen Einflussnahme durch Wüst. Im Landtag wird eine Aktuelle Stunde beantragt, in der Wüst schweigt. In einer Sondersitzung des Verkehrsausschusses rechtfertigt Wüst später das Löschen der Mails als üblichen Vorgang. Den Verzicht auf die Sanierung nennt Wüst einen Fehler - weist aber eine persönliche Verantwortung von sich, weil die Entscheidung vor seiner Zeit als Minister gefallen sei. Was die Verschiebung des Ersatzneubaus in seiner Amtszeit angeht, sagt er sinngemäß, er könne sich nicht erinnern, dass das ihm gegenüber problematisiert worden sei. Er habe sich voll und ganz auf seine Experten verlassen.

Die Opposition will sich damit nicht zufriedengeben. Aus den Reihen der SPD ist zu hören, man denke darüber nach, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.

Stand: 15.02.2023

Autor: José Narciandi

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